mit den Gründerinnen Eva Bittner und Prof. Johanna Kaiser zum 40 jährigen Jubiläum des Theaters der Erfahrungen.
2020 hätte das Theater der Erfahrungen – Werkstatt der alten Talente, gegründet 1980, sein 40 jähriges Jubiläum als gesamtstädtisches Projekt unter dem Dach des Nachbarschftsheimes Schöneberg e.V. feiern können, wäre die Corona Pandemie nicht gewesen. Es gibt sicher nicht viele Kulturprojekte, die auf eine so lange Geschichte verweisen können. Ein Grund mehr, das Projekt vorzustellen und die beiden Leiterinnen, Eva Bittner und Prof. Johanna Kaiser, nach dem Erfolgsrezept zu fragen.
Ein Blick in die bebilderte Festschrift lohnt sich.
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Könnten Sie zunächst erzählen, was Sie zur Gründung des Theaters der Erfahrungen bewogen hat und skizzieren, wie sich das Projekt im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Motivationen gab es einige. Wir wollten dem verstaubten Stadttheater etwas entgegen setzen. Orientiert haben wir uns am gesellschaftskritischen Volkstheater der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wir wollten die verborgenen Geschichten (auch mit Blick auf Geschichte) von älteren Leuten ausgraben und auf die Bühne bringen. Wir wollten Theater an Orte bringen, wo die Leute sonst einem Polizeiorchester lauschen müssen. Stattdessen wollten wir dort Diskussionen mit dem Publikum anstoßen.
Als junge Frauen leitete uns auch das Interesse, mehr über das Frauenleben der Älteren zu erfahren. Und es hat uns gereizt, Methoden auszuprobieren, die wir gerade selbst erlernt und erfahren hatten, und damit zu experimentieren.
Mit der Zeit hat sich das Theaterprojekt als Kulturform im Stadtteil stabilisiert. Getragen wird es von Älteren und deren Potential. Aufgrund vielfältiger Methoden ist es sehr variantenreich geworden. Es gibt eine ganze Reihe von Kooperationen, z. B. mit einem Hospiz, Kitas, Schulen etc..
Inzwischen ist das Theater der Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil der sozial-kulturellen Arbeit in den Berliner Stadtteilen. Ob als reine Seniorentheatergruppen oder altersgemischt, ob von und mit Menschen verschiedener Herkunft, ob in kürzeren Projekten oder in über Jahre arbeitenden Zusammenhängen, ob mit niedrigschwelligen Schnupper-Workshops oder kontinuierlichen Kooperationen, das gesamte Projekt ist stetig in die Breite gegangen und erneuert sich auf diese Weise kontinuierlich. Der Ansatz ist auch Bestandteil der Lehre an der ASH (Alice Salomon Hochschule) für den Bereich Soziale Kulturarbeit. (Anmerkung: Prof. Johanna Kaiser vertritt diesen Bereich an der Hochschule als Professorin mit Schwerpunkt Theater).
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Der Ansatz des Theaters der Erfahrungen ist, dass die Darsteller*innen ihre Stücke selbst entwickeln. Das gibt ihnen die Freiheit, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die ihre Lebenswirklichkeit betreffen. Ich vermute, Anfang der 1980er Jahre war dieses Konzept noch nicht so verbreitet wie heute. Sehen Sie sich als Pionierinnen der soziokulturellen Theaterarbeit und würden Sie zustimmen, dass diese Art Theater heute einen großen integrativen Beitrag leistet? Nicht nur im Hinblick auf „alte Talente“, sondern auch im schulischen Bereich?
Ja, im Bereich Altenkultur waren wir tatsächlich Pioniere. Theaterarbeit mit Jugendlichen in Jugendzentren gab es schon seit den 70er Jahren. Der intergenerelle Ansatz hat sich erst in den letzten Jahren stärker durchgesetzt, auch hier haben wir ein wenig Eisbrecher Funktion gehabt.
Und nicht nur als Zielgruppen-Eisbrecher sondern eben auch mit den selbstgewählten Themen und Umsetzungsformen. Gerade im Laientheater-Bereich war und ist es wichtig, eigene Figuren und Darstellungsmöglichkeiten zu entwickeln, in denen die Spielenden ihre Talente und Ressourcen bestmöglich einsetzen können.
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Dass sie nach 40 Jahren immer noch dabei sind, scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, dass die Arbeit erfüllend sein muss. Können Sie uns daran teilhaben lassen, welche Erfahrungen Sie besonders motivieren, inspirieren oder berühren?
Besonders inspirierend sind die Begeisterung und die Beharrlichkeit der Spieler*innen und die Möglichkeiten des Ausprobierens, sei es in der Konstellation der Gruppen, in den Methoden vom Improtheater über Puppentheater oder digitales Theater.
Neben den genannten Punkten ist immer wieder beeindruckend, wie einlässlich die Teilnehmenden auch bei ‚harten‘ Themen wie Pflegebedürftigkeit, Tod oder schwierigen persönlichen und politischen Erfahrungen am Ball bleiben. Das Geschützt-Sein im Probenraum und die Sicherheit einer kontinuierlich arbeitenden Gruppe ermöglichen viele Grenzgänge, die für die Zuschauenden immer wieder interessant und gesellschaftlich bedeutsam sind.
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Nun ist ja das Besondere am Theaterspielen, dass bei den allermeisten Stücken Figuren zueinander in Beziehung treten und Konflikte spielerisch ausagieren. Ich verstehe das Theaterspielen als einen Freiraum, der den Darsteller*innen die Möglichkeit bietet, „aus sich heraus zu gehen“, und eine Situation durch die Augen der Figur zu betrachten, die man verkörpert. Nicht nur, dass man eigene Erfahrungen einbringt. Man gewinnt auch neue Erfahrungen. Deshalb trifft das Gebot der Kontaktvermeidung die Darstellenden Künste besonders hart. Wie haben sie die vergangenen zwei Jahre erlebt?
Einerseits schwierig. Der erforderliche “Rückzug” der Spieler*innen führte bei einigen zu Einsamkeitstendenzen und weckte andererseits aber auch den Willen, das Beste daraus zu machen und sich in die digitalen Welten hineinzufinden, von der Zoomprobe bis zum digitalen Erzählcafe, das zum Adventskalender wurde.
Auch für die Älteren waren die vergangenen zwei Jahre ein dauerhaftes Wechselbad, das immer noch nicht vorbei ist. Es wurden jede Menge Angebote gestartet, so dass die Gruppen im kreativen Miteinander blieben – Telefon- und Videomeetings, Postaktionen, Proben im Freien – es wurden digitale Schulungen, niedrigschwellige Workshops und Online-Projekte angeboten, so dass wir niemanden unterwegs verloren haben. Und es wurde versucht, in den Sommermonaten alles nachzuholen, was während der Heizperiode nicht ging – kaum Sommerpause, viele Freiluftauftritte, kompakte Workshop-Wochen. Auf diese Weise haben wir die Phase ziemlich gut überstanden und hoffen nun, dass niemandem in dieser erneut eingeschränkten Periode die Luft ausgeht.
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Können Sie sich vorstellen, dass digitale Formate in Zukunft generell eine größere Rolle im Kulturbereich spielen werden und glauben Sie, dass der digitale Raum das Potenzial hat, Erfahrungen zu ermöglichen, die über den „eigenen Horizont“ hinausgehen?
Digitale Formate sind kein Ersatz für ein lebendiges Theater, doch eine interessante Bereicherung für jedes Alter, über regionale Grenzen hinaus. Im Altenbereich sollten Mittel für Schulungen dafür freigesetzt werden.
Wenn der Mut nicht nachlässt, sich mit den neuen Medien und Möglichkeiten kreativ zu beschäftigen, sehen wir noch diverse Möglichkeiten gerade für ältere Menschen, sich von zu Hause aus an digitalen Projekten zu beteiligen. Denn nicht nur eine Pandemie sondern auch ein gebrochenes Bein oder lange Wege können das Mitmachen einschränken und an dieser Stelle könnte man mit Online-Projekten sinnvoll einhaken.
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Niemand kann derzeit sagen, wie sich das Infektionsgeschehen in den kommenden Monaten entwickeln wird. Haben Sie bereits Pläne, für den Fall, dass gerade die Gruppe der Älteren auch weiterhin unter besonderen Schutz gestellt werden muss?
Für alle analogen Pläne gibt es einen Plan B, d.h. Zoomproben, digitale Caferunden, digitale Präsentationen und vieles mehr. Wir bleiben dran!
Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für das gerade angebrochene Jahr.
Bildrechte: Theater der Erfahrungen