Interview mit Ilka Normann und Nadine Lorenz
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Auch dieses Gespräch mit den beiden amtierenden Geschäftsführerinnen des Kulturnetzwerk Neukölln e.V., Ilka Normann und Nadine Lorenz, findet vor dem Hintergrund des 30-jährigen Jubiläums des Vereins statt.
Betrachten wir den Verein als einen virtuellen Raum, der viele verschiedene Neuköllner Akteur*innen unter einem Dach vereint, repräsentiert die Geschäftsführung, zusammen mit dem Vereinsvorstand und der Mitgliederversammlung, einen Überbau, der gemeinsame Ziele formuliert und eine Struktur zur Verfügung stellt, die Möglichkeiten eröffnen will.
Vorab in Kurzform die Vorstellung meiner beiden Gesprächspartnerinnen mit Fokus auf ihrer Verbindung zum Kulturnetzwerk.
Ilka Normann war seit 1996 als Vertreterin für das Museum Neukölln in Mitgliederversammlungen und der Planung der 48 Stunden Neukölln dabei, dann in Kooperation bei geförderten musealen Veranstaltungsreihen. Ab 2005 war sie zunächst die Festivalleiterin der 48 Stunden Neukölln und übernahm dann ab 2008 die Geschäftsführung des Kulturnetzwerk Neukölln e.V..
Nadine Lorenz, war bei der Gründung des WerkStadt Kulturverein e.V. 2008 dabei und ist seitdem immer in irgendeiner Form in die 48 Stunden Neukölln involviert. 2018 ist sie als Controllerin ins Team der 48 Stunden Neukölln gekommen und teilt sich seit 2020 die Geschäftsführung des Kulturnetzwerk e.V. mit Ilka Normann.
KNW Zum besseren Verständnis wäre es schön, wenn Ihr kurz beschreiben könntet, was in Euren Aufgabenbereich fällt, was Ihr gerne tut, was besonders befriedigend ist oder womit Ihr zu kämpfen habt.
Ilka Normann
Neben der Strategieentwicklung für alle Vereinsbelange und der Konzeption und Durchführung von Beschäftigungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und SenASGIVA zur personellen Unterstützung unserer Mitgliedseinrichtungen haben Nadine und ich die inhaltlichen Kulturförderungen zwischen uns aufgeteilt. Da waren bei mir früher die aufregenden 48 Stunden Neukölln (nun bei Nadine), die Berlin Mondiale, die wir Ende 2023 in die Selbständigkeit entließen und das Young Arts Neukölln in enger Kooperation mit dem Neuköllner Fachbereich Kultur, das ich Ende 2011 mit aus der Taufe hob und das Ende 2024 ganz in die gesicherte Trägerschaft des Bezirks überführt werden konnte. Neben unserer kleinen aber feinen Veranstaltungsreihe Musik am Buschkrug seit 2023 und dem Efre-Projekt Young Arts Diversity gibt es noch einige kleiner Projekte im Rahmen der Kulturellen Bildung, die ich betreue.
Nadine Lorenz
Aktuell bin ich verantwortlich für die Projekte 48 Stunden Neukölln und die Jugendprojekte in Buckow Blockpark 447 und Blocklab. Zu meinen Aufgaben gehören das Fundraising für diese und andere Projekte, die Beratung und Begleitung von Ideengeber*innen und Projektumsetzer*innen, die neue Projekte auf die Beine stellen möchten, inkl. Antragsberatung und -stellung, die Mitarbeiterführung und Steuerung der jobcentergeförderten Maßnahmenprojekte wie 16i und AHG MAE, allgemeine Netzwerkarbeit mit den Mitgliedern und das Erarbeiten von Zukunftsstrategien für den Verein, die Vertretung des Vereins, die Finanzplanung und das Controlling für Projekte und für den Verein selbst.
Große Freude machen mir die Entwicklung von neuen Projekten und die Netzwerkarbeit, also der Austausch mit anderen Akteur*innen. Als besonders befriedigend empfinde ich, zu beobachten, wenn Menschen sich durch die Arbeit in den jobcentergeförderten Stellen stabilisieren und ihre Potenziale entfalten, wenn neue Projekte ins Laufen kommen und sich die damit verbundenen Erwartungen erfüllen, oder generell einfach alles läuft.
Zu kämpfen habe ich mit diversen Problemlagen bei den Einzelnen, die in den geförderten Stellen arbeiten, weil mein Anspruch ist, den Bedürfnissen der einzelnen Arbeitnehmer*innen gerecht zu werden. Zu kämpfen habe ich natürlich auch mit den Kürzungen im Kulturbetrieb und der damit immer schlechteren finanziellen Ausstattung der Projekte.
KNW Unlängst hat die 26. Ausgabe des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln stattgefunden, eines der ersten großen Projekte des damals noch jungen Kulturnetzwerks Neukölln. Es gab und gibt aber natürlich andere Herzensprojekte, die vielleicht weniger aufsehenerregend, aber für Euch persönlich bedeutsam waren. Welche Projekte oder Ereignisse sind Euch über die Jahre hinweg in Erinnerung geblieben?
Ilka Normann
Das Young Arts Neukölln am Standort Donaustraße natürlich. Das haben wir 13 Jahre lang begleitet. Die Jugendkunstschule lag mir besonders am Herzen und ich habe mich sehr dafür engagiert, weil ich den Bereich kulturelle Bildung als eine enorm wichtige, gesellschaftliche Aufgabe begreife.
Und aus der Anfangszeit sind mir die künstlerischen Interventionen bei Areale Neukölln (2001) und Pilotprojekt Gropiusstadt (2002 bis 2007) von Schumacher & Jonas in sehr guter Erinnerung geblieben: spannende und äußerst streitbare Interventionen in den Neuköllner Nachbarschaften, zum Teil mit partizipativem Charakter, als dies in der Kunst im Urbanen Raum noch nicht so verbreitet war.
Nadine Lorenz
Ich betreue seit 2020 ein immer größer werdendes Jugendprojekt in Buckow. Hier gibt es einen großen Raum an Möglichkeiten und es macht Spaß, das Projekt zusammen mit den Projektmitarbeitenden zu entwickeln.
KNW Das kulturelle Leben wird ja immer von sozialen Bedingungen und verschiedenen anderen Faktoren beeinflusst. Das Neukölln von heute ist nicht mehr der Bezirk von vor dreißig Jahren. Wie erlebt Ihr die Veränderungen? Hat es gravierende Einschnitte gegeben? Und haben sie neue Ziele in der Kulturarbeit bedingt? Welche Themen sind nach wie vor aktuell, welche haben an Aktualität gewonnen?
Ilka Normann
Vor 30 Jahren war ein Ziel, zu zeigen, dass Neukölln Tolles zu bieten hat und nicht nur negative Schlagzeilen. Die gibt es immer noch, aber daneben ist klar, Neukölln bietet eine spannende Kulturszene. Das lockt an und erhöht die Mieten. Die bittere Pille: Künstler*innen, die sich Anfang der 2000er engagiert haben, konnten sich nur wenige Jahre später die Mieten nicht mehr leisten.
Ich denke, das haben wir alle (Kulturschaffenden) seinerzeit in der Form nicht für möglich gehalten.
KNW Jeder Mensch hat einen persönlichen Erfahrungshintergrund und damit verbunden auch subjektive Interessenschwerpunkte und Ideen in Bezug auf die Gestaltung von Wirklichkeit. Gibt es etwas, wofür Ihr Euch persönlich besonders engagiert?
Ilka Normann
Kunst und Bildung sind meines Erachtens eine wirklich effektive Methode, Kinder und Jugendliche zu Kritikfähigkeit und Resilienz zu befähigen. Deswegen setzen wir neben der Netzwerkarbeit in den letzten Jahr zunehmend auf den Bereich „kulturelle Bildung“ und Jugendprojekte.
Nadine Lorenz
Es macht Freude, mitzuerleben, was die Jugendlichen im Rahmen der Projekte Blockpark 447 und Blocklab in Buckow auf die Beine gestellt haben. Ein gutes Beispiel für erfolgreiche Jugend- und Kulturarbeit.
KNW Was sind – aus Eurer Sicht – die größten Herausforderungen, mit denen das Kulturnetzwerk Neukölln gegenwärtig konfrontiert ist?
Ilka Normann
Der politische Wandel, nicht nur im Kulturbereich: Teilhabe und Diversität sind keine Ideale mehr, sie werden als nicht mehr finanzierbar angesehen. Das wird für uns, die wir kostengünstige kulturelle Angebote zur Verfügung stellen wollen, so bald nicht mehr möglich sein. Arbeitsmarktprogramme werden fast komplett zurückgefahren und auf die wenigen verbleibenden Kulturförderungen bewerben sich alle.
Nadine Lorenz
Die Kürzungen in allen Bereichen, besonders in Jugend, Soziales und Kultur bereiten mir große Sorgen. Es gehört ja zu meinen Aufgaben, Mittel zu akquirieren, damit gute Ideen umgesetzt und in erfolgreiche Projekte überführt werden können. Das wird zusehends schwieriger.
KNW Die Bevölkerungsstruktur in Neukölln hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sehr verändert. Es hat ein demographischer Wandel stattgefunden. Viele jüngere Menschen haben den Bezirk für sich entdeckt. Die zunächst noch preiswerten Mieten haben Unternehmensgründungen zur Folge gehabt, mit positiven Auswirkungen auf das gastronomische und kulturelle Angebot im Bezirk.
Ist das nicht ein klarer Hinweis auf die positiven Dinge, die entstehen, wenn man der Kreativität Raum gibt, sich zu entfalten?
Ilka Normann
Ja, sofern sie nicht verdrängen, aber das tun sie ja. Das ist ein Dilemma.
Nadine Lorenz
Na ja. Die dunkle Seite der Entwicklung ist, dass sich die Kreativen und Künstler*innen und Menschen mit niedrigeren Einkommen die Mieten nicht mehr leisten können. Ateliers und Projekträume verschwinden. Das ist ernüchternd.
KNW Wie nehmt Ihr die Stimmung unter Kulturschaffenden derzeit wahr?
Ist da wie vor dreißig Jahren ein Pioniergeist spürbar oder überwiegt die Sorge vor dem Sterben von Kulturorten?
Ilka Normann
Das Überleben wird spürbar schwieriger, wenn man nicht eindeutig kommerziell ausgerichtet ist, aber auch der Gastronomie geht es ja nicht wirklich gut. Die Sorge ist eindeutig überall spürbar.
Nadine Lorenz
Es überwiegt die Sorge vor dem Sterben. Überall hören wir von Kürzungen und Schwierigkeiten, den bisherigen Betrieb aufrecht zu erhalten. Alle arbeiten unter schwierigen Bedingungen, weil Fördergelder erst sehr spät fließen oder ganz wegbleiben.
KNW Was begreift das Kulturnetzwerk derzeit als seine wichtigste Aufgabe?
Ilka Normann
Es bedarf einer Neuorientierung: Was wird künftig gebraucht und wie kann es erreicht werden? Die alten Methoden und Wege funktionieren nicht mehr. Das sind die Fragen, die uns derzeit beschäftigen und die in unseren Mitgliederversammlungen und im Vorstand diskutiert werden.
Nadine Lorenz
Wir müssen zukunftsfähig werden, neue Finanzmodelle finden und herausfinden, wie wir die Möglichkeiten von KI nutzen können.
KNW Wenn Ihr Euch etwas wünschen könntet, was wäre das in Bezug auf den Kulturbereich?
Ilka Normann
Ich würde mir wünschen, dass sich die Politik und einflussreiche zivilgesellschaftliche Akteure darauf besinnen, welch wichtige Rolle die Kulturarbeit und die kulturelle Bildung im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen und dass Unternehmen bei ihren legitimen Profitinteressen nicht aus den Augen verlieren, dass Profit nicht alles ist.
Wir haben ja einige Neuköllner Unternehmen, wie zum Beispiel die STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH, die seit vielen Jahren kulturelle Projekte wie z. B. den Neuköllner Kunstpreis und 48 Stunden Neukölln fördert (Hauptsponsor). Unser Dank gilt auch dem FHW Neukölln, ebenfalls langjähriger Förderer der 48 Stunden Neukölln und boesner, dem Anbieter von Künstlerbedarf, seit einigen Jahren mit einer Filiale in der Neuköllner Karl-Marx-Straße ansässig.
Wir sind dankbar, dass der Bezirk Neukölln trotz schwieriger Haushaltslage, mit einer finanziellen Förderung ermöglicht hat, dass das beliebte Kunstfestival 48 Stunden Neukölln auch 2025 stattfinden konnte.
Unser großer Dank geht an alle, die unsere Projekte in den vergangenen Jahren unterstützt haben und aktuell unterstützen.
Es geht ja momentan, in einer Zeit der fortschreitenden Polarisierung, stärker denn je darum, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten und hier kann er Kulturbereich eine vermittelnde Rolle spielen, indem er Diversität als positive und belebende Kraft erfahrbar macht.
Nadine Lorenz
Dem schließe ich mich an. Ich bin davon überzeugt, dass finanzielle Mittel, die in kulturelle Projekte investiert werden, auch langfristig eine gute Investition sind. Ganz besonders im Hinblick auf junge Menschen. Wer die Chance bekommt, mitzugestalten, fühlt sich zugehörig. Frust wird in Kreativität umgewandelt und die Erfahrung, etwas zu kreieren und zu bewirken setzt ungeahnte Potenziale frei. Die Projekte Blockpark 447 und Blockparklab sind für mich das beste Beispiel dafür.
Wir bleiben dran und geben die Hoffnung nicht auf, dass sich diese Einsicht letztlich durchsetzt.
Ilka Normann
Das Problem mit dem Kultur- und Bildungsbereich ist, dass, im Unterschied zum produzierenden Gewerbe und anderen Dienstleistungen, die negativen Auswirkungen von Einsparungen, beziehungsweise Ausfällen, oft nicht unmittelbar spürbar sind. Sie zeigen sich erst viel später, wenn der Schaden bereits angerichtet ist. Zerstörte Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen wieder aufbauen. Deshalb hoffe ich, dass wir Mittel und Wege finden, unsere erfolgreiche Arbeit auch in den kommenden Jahren fortzuführen.
Jetzt wollen wir aber erstmal, im Rahmen einer kleinen Feier für und mit unseren Mitgliedern, deren Engagement in den Mittelpunkt stellen und das Erreichte würdigen.
Ein großer Dank an alle, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz, auch weiterhin engagieren und damit einen Beitrag zu einem lebenswerten Wohnumfeld und einem respektvollen Miteinander leisten, von dem die ganze Gemeinschaft profitiert.
Juli 2025