Michaela Kirschning (Kulturnetzwerk) im Gespräch mit Li Koelan
Ich treffe die aus den Niederlanden stammende Künstlerin Li Koelan am 27. September 2022, einem regnerischen Herbsttag, in ihrem Atelier- Projekt- und Ausstellungs- Raum, dem Erde-Museum in der Weichselstraße (Berlin-Neukölln).
2010 haben wir uns schon einmal unterhalten. https://erdemuseum.de/de/interview/
Damals ging es um ihr Projekt Die Erde ist unteilbar und damals wie heute interessiert mich, was Li Koelan als Künstlerin in diesen bewegten Zeiten bewegt und was ihr die Kunst in diesem Kontext bedeutet.
Seinerzeit sprach alle Welt von der „Finanzkrise“. Seitdem jagt eine Krise die nächste.
Die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts waren von Flucht und Vertreibung geprägt. Menschen, die ihre Heimat verloren haben, darunter viele aus dem Nahen Osten, mussten anderswo einen Neuanfang finden. Viele dieser Menschen wurden im Berliner Stadtteil Neukölln untergebracht und hiesige Akteure stell(t)en die Frage, was getan werden kann, um die Neuankömmlinge bei ihrer Integration in die „Mehrheitsgesellschaft“ zu unterstützen. Zuwanderung und Integration waren viele Jahre lang das Top-Thema in Politik und Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zu dem Projekt Die Erde ist unteilbar.
Ich habe mich mit Li darauf geeinigt, unser aktuelles Gespräch, das über zwei Stunden gedauert hat, aus Gründen der Lesbarkeit, so zusammenzufassen, dass der rote Faden erhalten bleibt und die wichtigen Aussagen relativ wortgetreu wiedergegeben werden.
(Vor der Veröffentlichung habe ich um ein Feedback gebeten, ob die Zusammenfassung das Gespräch treffend wiedergibt.)
Steht ein Paradigmenwechsel in der (Kunst-)Welt bevor?
Wir beginnen unser Gespräch mit einer Standortbestimmung und der Feststellung, dass sich seit dem letzten Interview einiges verändert hat. Übereinstimmend stellen wir fest, dass der (von Wissenschaftler*innen prognostizierte) Klimawandel mit all seinen Konsequenzen, wie zum Beispiel das gehäufte Auftreten von extremen Wetterereignissen (Überschwemmungen, Stürme, Dürreperioden), mittlerweile in vollem Gange ist. Heute ist Erfahrung geworden, was damals (2010) noch vor allem eine Befürchtung von Teilen einer kritischen Öffentlichkeit war. Das Thema „Klima“ ist von einem Gegenstand der Wissenschaften und intellektueller Betrachtungen zu einer Realität geworden, die viele Menschen in ihrem Alltag – mittlerweile auch in Europa – unmittelbar betrifft. Der Klimawandel dürfte nach dem Hitzesommer 2018 das Themenfeld Zuwanderung/Integration überflügelt haben. Und dann kam Corona.
Ich frage Li Koelan, ob sie auch findet, dass die Pandemie uns verändert hat. Ein Umstand, der für mein Gefühl viel zu wenig thematisiert wird, gemessen an den Folgen für das soziale Miteinander. Wir stimmen darin überein, dass sich in den letzten zwei Jahren Selbstverständlichkeiten aufgelöst haben, die wir (zu) lange als gegeben hingenommen haben. Das Lebensgefühl hat sich verändert. Die Angst nimmt zu und ist greifbar. Nach Corona ist es die Angst vor dem Krieg in der Ukraine, der schon jetzt deutliche Auswirkungen auf unsere Wirtschaft hat und – wie im Fall Corona – besonders den ärmeren Teil der Bevölkerung betrifft. Darunter fallen auch viele selbständige Künstler*innen und Gewerbetreibende. Wir wollen das in unserem Gespräch nicht vertiefen. Es soll nur nicht unerwähnt bleiben, weil Existenzängste und wie wir damit umgehen, immer mitschwingen, auch dann wenn einem bewusst ist, dass es genau darum geht – den Ängsten ihre Macht zu entziehen, das Narrativ von Zerstörung und Verderben nicht zu nähren. Und statt dessen?
Li Koelan beschreibt ihre Haltung so:
Wenn ich zu etwas (Beängstigendem/Herausforderndem wie etwa Pandemie, Klimawandel, Krieg) in meinem Herzen und meiner Seele eine innere Haltung finden kann, dann spüre ich lebendige, schöpferische Kräfte in mir selbst und im großen Ganzen, ich verliere meine Ohnmacht, kann mein vom Kopf gesteuertes Denken weitgehend loslassen und bekomme neuen Mut, trotz aller Bedrohungen, mein Ur-Vertrauen in eine friedvolle Welt für alle Menschen aufrecht zu erhalten und mit Freude daran weiterzubauen! Es fühlt sich oft so an, gegen den Strom schwimmen zu müssen, aber diese Haltung, macht mich innerlich stark und inzwischen weiß ich, dass es, für mich, der richtige Weg ist und dafür bin ich dankbar! Ich verbinde mich mit den positiven Bewusstseinsentwicklungen, die momentan, in unserer chaotischen Welt stattfinden und stattfinden müssen, einfach weil das alte Gesellschaftssystem nicht mehr zu reparieren ist.
Es wird für mich immer wichtiger, die Geschehnisse aus einer sogenannten Vogelperspektive, als Beobachterin wahrzunehmen. Ich, wir alle, ob wir wollen oder nicht, sind immer Teil der weltweiten Menschheitsfamilie und wenn es mir-dir-uns gelingt, auf die eigene Kraft, das eigene Licht zu vertrauen, es zu nähren und leuchten zu lassen, hat das einen großen positiven Einfluss auf das Kollektiv. Wenn ich mich aber von der Angst anstecken lasse, wird es dunkel in mir, in meinem Körper und um mich herum, ich verliere meine Strahlkraft, werde Teil eines ängstlichen Kollektivs, falle in die Ohnmacht und bin verloren – das wäre fatal.
Wir unterhalten uns eine Weile über das, was sich gerade so zeigt – hochemotionale Debatten über alle erdenklichen Themen – und stimmen darin überein, dass es gerade jetzt wichtig ist, sich nicht triggern und herunterziehen zu lassen, sondern in die Selbstverantwortung zu gehen. Das bedeutet, sich selbst ernst nehmen, nicht blind einem Narrativ zu folgen, sondern die eigene Seele, das eigene Herz zu befragen. Unter den derzeitigen Umständen (Stichwort: die aufgeregte Gesellschaft) erfordert es vor allem Mut, eine eigene Haltung zu haben und zu dieser auch zu stehen.
Es bleibt nicht aus, dass wir in einem Gespräch über Kunst auch auf die gerade zu Ende gegangene 15. Ausgabe der Documenta zu sprechen kommen. Ein weiterer Aufreger, weil der Antisemitismusvorwurf in Bezug auf das indonesische Künstler*innen-Kollektiv Ruangrupa, das die Documenta kuratiert hat, aus der Ausstellung ein Politikum gemacht hat. Weder Li noch ich waren vor Ort und wir haben die Energie, den „frischen Wind“, von dem uns Menschen, die dort waren, begeistert berichtet haben, nicht miterlebt.
Interessant ist, dass ein Paradigmenwechsel beabsichtigt war/ist. Der Schwerpunkt der Schau lag in jeder Hinsicht nicht mehr auf individuellen künstlerischen, (meist männlichen) „Genies“ sondern auf Künstler*innen-Kollektiven, auf den Beziehungen untereinander und dem Teilen von Ressourcen, Ideen und künstlerischen Perspektiven. Zentral war das Motiv „lumbung“ („lumbung ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird.“). Der Direktor des Van Abbemuseum, (Eindhoven, Niederlande) Charles Esche, bezeichnete die Documenta 15 in einem Vortrag als die „erste richtungsweisende Ausstellung des 21. Jahrhunderts“.
Ich frage Li Koelan, ob sie diesem neuen Paradigma etwas abgewinnen könne und was ihr das Leben mit Kunst gegenwärtig bedeutet.
An einem bestimmten Punkt geht es darum, wahrhaftige Entscheidungen zu treffen und dieser Punkt ist mit ´Covid 19´ für die ganze Welt erreicht worden und setzt sich jetzt fort mit dem Krieg in der Ukraine und seinen weltweiten Folgen. Es gibt für niemanden von uns einen Weg zurück in die Zeit vor Covid ´19´. Deswegen haben ganz viele Menschen, aus unterschiedlichen Gründen Angst, sind nicht, oder nicht mehr, in der Lage, selbständig zu denken. Ihnen fehlt der Mut zur Eigenverantwortung. Doch Angst ist immer der schlechteste Ratgeber und birgt die große Gefahr in sich, abhängig zu werden von etwas im Außen – und das gilt sowohl auf persönlicher, als auch auch auf gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene!
Für mein Gefühl ist die Freiheit eines jeden Menschen das höchste Gut auf dieser Erde. Und jede Nation, jedes Volk muss sich demnach damit auseinandersetzen, welches Maß an Freiheit es den Individuen gegenwärtig zugesteht und künftig zugestehen will/muss, um dem wachsenden Bedürfnis und der globalen Forderung nach mehr Freiheit, Rechnung zu tragen. In diesem komplizierten Prozess zur weltweiten Anerkennung dieser höchsten Freiheit befinden wir uns jetzt. Und bitte nicht missverstehen – diese höchste Freiheit beinhaltet zur gleichen Zeit die allerhöchste Verantwortung und hat überhaupt nichts mit dem neoliberalen Freiheitsbegriff zu tun, mit dem wir aufgewachsen sind.
Die Zeit ist gekommen, sich bewusst zu positionieren und eine klare Haltung einzu-nehmen. Das ist eine Chance für jede*n von uns, denn jeder einzelne Mensch ist wichtig und trägt die Verantwortung für sein Tun oder sein Nichttun. Was wir brauchen ist, dass wir uns mit Gleichgesinnten zusammentun, uns Mut machen und gegenseitig stärken. Das ist das, was wir persönlich brauchen – aber das ist auch, was das Kollektiv – unsere Menschenfamilie weltweit braucht. Das geht in Richtung Netzwerk, aber es geht weit darüber hinaus. Dafür bräuchten wir einen anderen Namen. Das Wort Netzwerk beinhaltet meines Erachtens zu sehr die Erwartung, etwas zu bekommen, von etwas profitieren zu können. Aber darum geht es längst nicht mehr. Es geht jetzt darum, den Schwerpunkt darauf zu legen, was ich, was wir im „freien Westen“ zu einer lebenswerten Zukunft für die Erde und all ihre Bewohner*innen beitragen können und müssen.
Ein guter Ausgangspunkt in der Begegnung mit anderen wäre, offen und ehrlich zu kommunizieren und Konflikte nicht unter dem Tisch zu halten, sondern in gegenseitigem Respekt unterschiedliche Perspektiven zu besprechen, ohne sofort in Bewertungen ab zu rutschen. Auf diese Weise könnten diejenigen leichter zusammenfinden, deren Interessen zusammenpassen. Etwa wenn es darum geht, die richtigen Menschen für ein Projekt zu finden.
Wir sollten überhaupt viel mehr Fragen stellen und vor allem – einander richtig zuhören. Es geht jetzt darum, aus dem eigenen Häuschen herauszutreten und sich mit dem zu zeigen, was wir beitragen können, um die Erde vor Katastrophen zu bewahren und eine gerechtere Welt für die ganze Menschheit zu schaffen. Es geht um Selbstverantwortung und die Bereitschaft zur Veränderung. Es geht um lebendige Prozesse, um neue Möglichkeiten, um Zusammenarbeit auf lokaler und weltweiter Ebene um Austausch – Resonanz – kurzum
DAS GANZE LEBEN DER MENSCHHEIT AUF UNSERE ERDE.
Bei der Kunst geht es immer um Resonanz. Ob mich ein Kunstwerk anspricht, hat nicht direkt etwas mit „Qualität“ zu tun. Wenn ich mit einem Bild oder auch einem Projekt, wie „Die Erde ist unteilbar“, nichts anfangen kann, bedeutet das einfach, dass ich keine Verbindung herstellen kann. Das betrifft nicht nur Kunstwerke, sondern die gesamte Welt um uns herum. Jede*r hat einen eigenen Zugang zur Welt. Es gibt Bilder, die – wenn Menschen sich davon angesprochen fühlen – eine große Ruhe ausstrahlen, so dass sie Menschen helfen können, innere Ruhe und Kraft zu finden.
Es bedeutet mir viel, dass heute noch (13 Jahre nach Projektstart von „Die Erde ist unteilbar“) Menschen im Erdemuseum vorbeikommen und Erde mitbringen. Offenbar hat sie ein Flecken Erde irgendwo auf dieser Welt so tief berührt, dass sie mit ihm in Verbindung bleiben möchten, indem sie etwas Erde mitnehmen. Manchmal ist es Erde aus der Heimat, manchmal stammt sie von einem Urlaubsort, der einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. In jedem Falle besteht eine Verbindung. Wer Erde ins Erdemuseum bringt, möchte nicht nur in Verbindung bleiben, sondern dieses Gefühl der Verbundenheit zudem mit anderen Menschen teilen.
Das Erde-Projekt erinnert uns daran, dass auf dieser Erde alles und alle miteinander verbunden sind.
Mir wird durch dieses Gespräch bewusst, dass mich viele Fragen beschäftigen und dass es wichtig ist, Fragen zu stellen. Was mich besonders beschäftigt:
Wie kann Kunst, können Kunstwerke heutzutage einen Beitrag dazu leisten, Ängste zu mildern oder aufzulösen? (Stichwort: Resilienz)
Ich stelle mir diese Frage schon sehr lange und obwohl ich, für mich persönlich, die Frage nur positiv beantworten kann, habe ich noch keine Möglichkeiten gefunden, wie diese Ruhe und Kraft verunsicherten, ängstlichen Menschen zugänglich gemacht werden könnte. Ich kann mir vorstellen, dass es Sinn macht, sich mit anderen darüber auszutauschen, sich diese und andere Fragen gemeinsam zu stellen.
Im Gespräch kristallisiert sich heraus, dass es Li Koelan ganz wichtig ist, „Bilder (bzw. Kunstwerke und Projekte) selbst sprechen zu lassen“. Sie sagt, dass, wenn sie zum Beispiel ein Bild kreiert, oft nicht genau weiß, wie sie das gemacht hat. Das Unbewusste hat einen großen, (vielleicht den größten) Anteil an diesem Prozess. Dadurch wird das Bild, beziehungsweise der Gegenstand der Betrachtung, zu einem Gegenüber. Es wird zu einem „Spiegel der Seele“. Oder anders formuliert: Das Unterbewusstsein findet in der Kunst einen Weg, sich zum Ausdruck zu bringen und sich seinem Gegenüber mitzuteilen.
Für mich ist die wichtige Frage: Wo ist mein Platz? Dabei geht es um unsere kreative Energie. In meinen Augen ist tatsächlich jeder Mensch ein Künstler. Es wäre zu wünschen, dass sich auch jeder Mensch selbst als Künstler sehen könnte, dann würde die Welt gleich anders aussehen!
Wenn ich spüre, dass sich jemand von meiner Kunst angesprochen fühlt, dann weiß ich, dass da eine Resonanz besteht, die eine Verbindung mit dem eigenen Inneren dieser Person möglich macht – dies alles geschieht auf der unbewussten, feinstofflichen Ebene. Wenn so etwas passiert ist das ein großes Geschenk für alle Beteiligten!
Mir ist ganz wichtig, dass wir wegkommen von der rein materiellen/materialistischen Ebene, die meistens nur vom Kopf und den logischen eindimensionalen Denkmustern des Verstandes bestimmt wird.
Ich wünsche mir, dass sich künftig immer mehr Menschen dafür entscheiden werden, ihr eigenes Herz zu spüren und zu öffnen, auf die Intuition des eigen Herzens zu hören und dem eigenen „Selbst“ treu zu bleiben. Erst dann können subtilere Ebenen von Verbindung in uns selbst, zwischen Menschen, Völkern und Ländern untereinander entstehen und es wird eine wahrhaft friedvolle Zukunft für die Menschheit auf Erden möglich sein – denke ich!
Hoffe ich!
Ein schönes Schlusswort. Ich bedanke mich bei Li Koelan für das Gespräch.
Abschließend möchte ich noch auf die Soulcollage Workshops hinweisen, die Li regelmäßig im Erdemuseum anbietet. Vieles von dem, was wir hier angesprochen haben, wird in den Workshops erfahrbar.
Was denken Sie? Wir freuen uns über ein Feedback Ihrerseits!
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