Wir würden gerne von unseren Mitgliedern erfahren, wie es ihnen geht und sie bei dieser Gelegenheit einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen. Diesmal haben wir die Bürgerstiftung Neukölln angefragt.

 

  • Könntest Du zunächst die Bürgerstiftung Neukölln und ihre Arbeit kurz vorstellen und uns berichten, wie Ihr unter „normalen Bedingungen“ arbeitet und was Euer grundsätzliches Anliegen ist. Was hat sich die Bürgerstiftung Neukölln zum Ziel gesetzt und welches sind Eure aktuellen Projekte?

Die Bürgerstiftung Neukölln fördert bürgerschaftliches Engagement und setzt sich für ein aktives Miteinander auf Augenhöhe ein. Unser Ziel ist es, die unterschiedlichen Menschen, die in Neukölln leben, dazu anzuregen, ihr Lebensumfeld aktiv mitzugestalten und sich dort zu Hause und wohl zu fühlen. Zur Bürgerstiftung Neukölln gehören u.a. die Anlaufstelle für Bürger*innenbeteiligung in Kooperation mit dem Bezirksamt Neukölln, das Patenschaftsprojekt für Grundschulkinder, die „Neuköllner Talente“, und das „Mentoringprojekt Neukölln“, das sich an jugendliche Sekundarschüler*innen richtet.

  • Wie seid Ihr derzeit aufgestellt und wie gefährdet ist die Existenz einzelner Projekte?

Akut gefährdet ist zum Glück keines unserer Projekte. Allerdings haben es ausgerechnet unsere beiden Kinder- und Jugendprojekte schwer. Eine stabile Finanzierung zu finden, ist Jahr für Jahr eine Herausforderung für die Bürgerstiftung. Das ist schade, weil die Projekte gerade jetzt so wichtig sind und wir unsere Arbeitszeit lieber für die eigentliche Projektarbeit, nämlich das Schließen von Patenschaften und Mentorings, verwenden möchten als für die Suche nach Geldgeber*innen. Andererseits haben beide Projekte treue Unterstützer*innen, die seit Jahren hinter uns stehen. Dafür sind wir sehr dankbar.

  • Ich würde gerne auf diese beiden wichtigen Projekte der Stiftung näher eingehen. Das Patenschaftsprojekt „Neuköllner Talente“ und das „Mentoringprojekt Neukölln“ dürften von der Corona bedingten Beschränkung physischer Kontakte besonders betroffen sein. Wie sieht das konkret aus? Werden aktuell überhaupt noch Patenschaften, bzw. Mentorings vermittelt? Wie geht es den Projektbeteiligten, also den (Paten-)Kindern, den Pat*innen und den Organisator*innen?

Während des ersten Lockdowns vor einem Jahr haben wir keine neuen Patenschaften und Mentorings geschlossen. Die Situation war so neu, dass wir zunächst einen Umgang damit finden und Sicherheit zurückgewinnen mussten. Im zweiten Lockdown ist es anders. Wir schließen auch jetzt Patenschaften und Mentorings. Nur weniger als vor Corona. Das liegt natürlich an den eingeschränkten Möglichkeiten, eine Patenschaft oder ein Mentoring so zu gestalten, wie sich das die Meisten von uns wünschen. Und natürlich auch an der Verunsicherung und der Sorge, sich anzustecken. Andererseits ist der Bedarf bei den Kindern und Jugendlichen gerade jetzt enorm: Die Schulen sind zum zweiten Mal seit Wochen geschlossen. Das Homeschooling zu begleiten, stellt viele Familien vor eine Herausforderung, die sie kaum stemmen können. Es fehlen nicht nur adäquate technische Endgeräte für den digitalen Unterricht, sondern auch das Wissen, wie mit den Geräten umzugehen ist. Hinzu kommt, dass viele Eltern das Homeschooling inhaltlich nicht begleiten können. Die Wohnverhältnisse sind oft beengt und zum Teil haben mehrere Kinder gleichzeitig Onlineunterricht. Es fehlt an Platz und Ruhe. Da kann eine Patenschaft oder ein Mentoring Gold wert sein. Lerninhalte können später nochmal in Ruhe angeschaut oder die Arbeitsblätter gemeinsam erledigt werden.

  • Habt Ihr schon eine Vorstellung, wie es weitergehen kann, wenn die Beschränkungen zumindest im ersten Halbjahr 2021 weiterbestehen? Gibt es neue Konzepte und spielen digitale Formate bei Euren Überlegungen eine Rolle? Habt Ihr damit im vergangenen Jahr bereits Erfahrungen gemacht?

Wir versuchen trotz allem weiterzumachen. Wir begleiten unsere bestehenden Tandems intensiv und unterstützen sie mit Ideen und Tipps, wie eine Patenschaft oder ein Mentoring unter den geltenden Coronaregeln funktionieren kann. Wir stellen u.a. Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen sich die Tandems mit Masken und Abstand treffen können, um gemeinsam zu lernen oder z.B. ein Gesellschaftsspiel zu spielen. Und ja, auch digitale Formate spielen in den Patenschaften und Mentorings seit 2020 eine Rolle. Manche treffen sich zum Video-Call, um gemeinsam Hausaufgaben zu machen, zu reden, Spiele zu spielen oder zu basteln. Aber auch Spaziergänge und Spielplatzbesuche gehören für viele weiterhin dazu. Es ist für uns alle wichtig, weiter an die frische Luft und ans Licht zu gehen, auch für die Kinder und Jugendlichen in unseren Projekten – gerade jetzt.

  • Welche Aspekte Eurer Arbeit haltet Ihr für besonders relevant?

Brücken zu bauen zwischen Menschen, deren Lebensrealitäten oftmals weit auseinanderdriften – das ist uns wichtig. Aber auch kulturelle Lernprozesse auf beiden Seiten anzustoßen und sich dabei auf Augenhöhe zu begegnen. Und uns für Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Neukölln einzusetzen.

  • Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Betroffenen und findet er statt?

Wir sind mit unserem Patenschaftsprojekt „Neuköllner Talente“ im Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften Kipa e.V. aktiv. Es ist sehr hilfreich sich mit anderen auszutauschen und zu hören, wie andere mit der Situation umgehen und was für Lösungen dort gefunden werden.

  • Es wird immer wieder betont, dass das Virus wie ein Brennglas wirkt und den Fokus auf verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens lenkt. Habt Ihr, abgesehen von Problemen, etwas mitnehmen können aus diesen letzten Monaten?

Natürlich haben wir vor allem die Probleme gesehen. Sie liegen auf der Hand und es ist sehr wichtig, sie zu benennen. Wie unterschiedlich die Chancen auf gute Bildung sein können, wird in Zeiten von Homeschooling und Schulschließungen deutlicher denn je. Dagegen müssen wir als Gesellschaft etwas tun. Wir freuen uns daher, dass es Menschen gibt, die sich – aller Widrigkeiten zum Trotz – in unseren Projekten engagieren wollen und sich gemeinsam mit uns für gute Bildung und Chancengerechtigkeit in Neukölln einsetzen. Wir nehmen aus den vergangenen Monaten mit, dass es gut ist, nicht den Mut zu verlieren, sondern weiterzumachen – auch dann, wenn Vieles ungewiss ist.

 

Foto: Simone Rajilić, Bildrechte Bürgerstiftung Neukölln